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Antwort auf den "Samstagsbrief" von Michael Czygan (Main Post) zur Wahlrechtsreform

Sehr geehrter Herr Czygan,

 

vielen Dank für Ihren kritischen, aber auch differenzierten „Samstagsbrief“. Und ich will es vorwegnehmen: Herr Czygan, ja, Sie haben einen Punkt. Wenn eine Wahlrechtsreform in einem solchen Scherbenhaufen endet, wie bei der Plenardebatte am zurückliegenden Freitag, tragen alle politischen Parteien daran Verantwortung. In der Rückschau muss man einräumen, dass es mehrere Stellen gegeben hat, wo Vorschläge aufgrund der CSU verworfen wurden. Allerdings hat jede Partei, die an den Verhandlungen über die Jahre beteiligt war, irgendwann rote Linien gezogen. Genau das muss aber das vornehmste Recht jeder politischen Partei sein, da eine Partei natürlich auch die Interessen ihrer politischen Werte sowie Zielrichtungen wahrzunehmen hat, und damit die Interessen der Bevölkerungsteile, die hinter ihr stehen. Hierzu haben wir immer wieder deutlich gemacht, dass wir das Wahlrecht aus Sicht des Wählers denken wollen – gerade in Zeiten der Politikverdrossenheit, wie Sie richtigerweise anmerken.

 

Ein parteiübergreifendes Ergebnis der Wahlrechtsreformkommission war die Erkenntnis, dass die Menschen immer mehr die Person wählen und immer weniger nach der Partei. Die Wähler wünschen sich von der Basis legitimierte Vertreter, die sich um den Heimatwahlkreis kümmern – und keine Parteisoldaten, die vier Jahre lang in der Parteizentrale ein- und ausgehen, um ihren guten Listenplatz zu sichern. Der Grund, warum die Menschen sich zurecht an der Größe des Deutschen Bundestages stören, ist doch, dass ihres Erachtens die Qualität einfach nicht passt. Wo kann denn eine Region einen größeren Einfluss nehmen auf die Qualität ihrer politischen Vertreter, als bei der Aufstellung eines Direktkandidaten vor Ort im Wahlkreis? Und bei der Frage der Qualifikation meine ich jetzt nicht nur die Frage nach abgeschlossenen Berufsausbildungen oder Berufserfahrung, sondern es muss um soziale Verwurzelung, soziale Kompetenz und um den gesunden Menschenverstand gehen. Deshalb war es nach unserem Verständnis wichtig, das Direktmandat nicht weiter auszuhöhlen.

 

Deshalb haben wir ein echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht vorgeschlagen – allerdings mit 280 Wahlkreisen und 320 Listenplätzen, also asymmetrisch, um hier den kleinen Parteien entgegenzukommen. Hierzu gab es keinerlei Gesprächsbereitschaft, weshalb wir dann als letzten Vorschlag die Idee aus der zurückliegenden Legislaturperiode aufgegriffen haben, nämlich Wahlkreise zu reduzieren, wiederum deutlich mehr Plätze auf der Liste anzubieten zugunsten der kleinen Parteien, und bis zu 15 Überhangmandate nicht auszugleichen entsprechend den Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts. Auch das wurde abgelehnt.

 

Insgesamt kamen über die Jahre aus den Reihen der Union mindestens fünf Vorschläge zur Verkleinerung des Bundestages, die aber immer eben auch der Bedeutung des Direktmandats Rechnung getragen haben.

 

In diesem Jahr, seitdem ich in der Wahlrechtsreformkommission sitze, musste ich allerdings den Eindruck gewinnen, dass die „Ampel“ ausschließlich über ihre Vorschläge reden wollte. Anders ist es nicht zu erklären, dass wir selbst als Kommissionsmitglieder nachweislich alle Überlegungen der „Ampel“ zur Verkleinerung immer und ausschließlich am Sonntagabend vor einer Sitzungswoche aus den Medien erfahren haben. Es ging die gesamte Legislaturperiode offensichtlich mehr um die Außendarstellung der „Ampel“ als um einen ergebnisorientierten Dialog.

 

Wiederum am Sonntagabend in der Presse, keine drei Tage vor der Abstimmung im Innenausschuss, kam nun noch völlig überraschend die Streichung der Mindestmandatsklausel auf den Tisch. Legt man im Übrigen das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 zugrunde, käme demnach die CSU mit ca. 180.000 Stimmen weniger nicht in den Bundestag, obwohl sie 45 Direktmandate gewonnen hat.

 

Mit diesem offenkundigen Angriff gegen die CSU und die Linkspartei wird deutlich, dass die „Ampel“-Parteien der Versuchung erlegen sind. Nicht ohne Grund gibt es die Gepflogenheit, Wahlrecht parteiübergreifend zu ändern. Davon haben auch bereits in der Vergangenheit heute regierende Parteien profitiert – denken Sie nur an Änderungen aus den 1990er Jahren im gesamtdeutschen Wahlrecht unter Helmut Kohl, um den Grünen oder auch den Linken eine Chance zum Einzug in den Deutschen Bundestag zu geben. Das Wahlrecht atmete also immer den Geist der Demokratie. Am vergangenen Freitag allerdings ist es an der Selbstgerechtigkeit der „Ampel-Demokraten“ erstickt. Wer sich so geschichtsvergessen wie die „Ampel“ an unserem Wahlrecht vergeht, weil er sich ein solches so zusammenbaut, wie es ihm am besten passt, hat unserer Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Das lässt sich am Ende auch nicht mit der Langwierigkeit von Verhandlungen relativieren.

 

Demokratie ist zweifelsohne die schwierigste Staatsform, denn sie erfordert von allen Seiten Gesprächsbereitschaft, Offenheit, Geduld – und Fairness.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ihr

Alexander Hoffmann, MdB